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Warum Kardinal Marx das Bundesverdienstkreuz nicht verdient

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Pastoralreferent im Bistum Trier und selbst Betroffener von Missbrauch, hat Werner Huffer-Killian seit 20 Jahren mit dem heutigen Kardinal und Erzbischof des Erzbistums München-Freising zu tun gehabt und zusammen gearbeitet. Er hat dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier anlässlich der geplanten Verleihung eines Bundesverdienstkreuzes an seinen ehemaligen Dienstherrn geschrieben. Seine Bitte: Walter Steinmeier möge sich das nochmal überlegen. Den Brief darf ich hier allen Interessierten zur Lektüre vorstellen.

Herrn Bundespräsidenten

Frank-Walter Steinmeier

Bundespräsidialamt

Spreeweg 1

10557 BERLIN

Bundesverdienstkreuz für Herrn Reinhard Kardinal Marx

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, 

Auch ich möchte Sie bitten, die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Herrn Reinhard Kardinal Marx nicht zu vollziehen. Es stößt bitter auf. 

Ich bin Pastoralreferent im Bistum Trier und seit 2012 im Dekanat Maifeld-Untermosel zuständig für Flüchtlingsfragen und Flüchtlingsarbeit. 

Meine Erfahrungen mit Herrn Marx aus seiner Zeit als Bischof von Trier möchte ich kurz schildern und Ihnen damit Wasser in den Wein schütten. 

* Ich lernte Herrn Marx als Bischof von Trier durch einen kleinen Streit in Menschenrechtsfragen kennen. Ich hatte als Pastoralreferent – ausgeliehen an Misereor – 2 Jahre in der deutschen Menschenrechtskoordination Kolumbien gearbeitet. Ende 2003 verfasste ich ein kritisches Dossier über die Kolumbien-Kampagne von Adveniat aus menschenrechtlicher Sicht. Zwei Jahre vorher, am 19. September 2001, ist unsere Freundin Yolanda Ceron Delgado aus der Diözese Tumaco ermordet worden.

Bischof Marx hat sich über das Dossier geärgert und die Sachkritik nicht angehört, und ich fühlte mich von ihm als „Nestbeschmutzer“ behandelt.

* Am 30. Oktober 2006 wurde Familie Yildirim (nach 10 Jahren Aufenthalt in Deutschland) aus dem Kirchenasyl von der Polizei aus der Kirche in Koblenz-Neuendorf herausgeholt und in die Türkei abgeschoben. Herr Yildirim war daraufhin 3 Tage in Haft, während Frau Yildirim mit den drei kleinen Kindern, davon 2 in Deutschland geboren, allein in Istanbul saß.  Der Unterstützerkreis hielt Kontakt zur Familie, half ihr zu einem neuen Leben in Kurdistan. Bis heute habe ich Kontakt per Facebook zu dieser Familie.

Herr Marx hatte umfassende Kenntnis davon und wir fühlten uns von ihm allein gelassen. Erst 9 Monate nach der Abschiebung erhielten wir einen Gesprächstermin bei seinem Generalvikar. 

* Von 2006 bis 2009 leitete ich in meinem damaligen Dekanat Andernach-Bassenheim unsere Kampagne „Gegen ausbeuterische Kinderarbeit in indischen Steinbrüchen“ mit Misereor und der Sternsingeraktion. Wir setzten uns – übrigens bis heute – wegen der hohen Symbolkraft dafür ein, keine Grabsteine aus Kinderarbeit auf unseren Friedhöfen zuzulassen. Wir gewannen die damalige Sozialministerin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, zur Schirmherrin der Kampagne.

Obwohl es 40 kircheneigene Friedhöfe im Bistum Trier gibt, tat sich auf dieser Ebene kaum etwas.

* Mein Missbrauchstäter war unter Bischof Marx sogar Regionaldekan, obwohl seine Missbräuche an mir und einem damals 15jährigen seit 1980 bekannt sind und aktenkundig sein müssten (ich habe ja keine Einsicht in die Täterakte). Ich bin seit kurzem in den Betroffenenbeirat des Bistums Trier berufen. 

* In der Flüchtlingsarbeit hatte sich 2015 die Willkommenskultur entwickelt und unser Land hat gezeigt, wie wir mit Geflüchteten gut umgehen können. In unserem Dekanat hatten wir zeitweise über 600 Flüchtlinge begleitet mit fast 300 ehrenamtlich Tätigen. Es war eine echte gelebte Kultur des Willkommens, der Hilfe, der Integrationsarbeit – diese geht heute weiter. Das Papier unseres Dekanates besagt, schon im Juli 2015 verabschiedet durch die Dekanatskonferenz: „Wer hier ankommt, soll wissen und spüren: Die Flucht ist vorbei!“

In vielen Kirchen gab es Willkommenskreise, es gehörte zum christlichen Selbstverständnis, war eine gewisse Normalität. Warum nun ausgerechnet der Vorsitzende der Bischofskonferenz diesbezüglich ausgezeichnet werden soll, erschließt sich mir nicht. 

Im Gegenteil: In Verhandlungen mit Bundesinnenminister Seehofer über das Kirchenasyl 2018/2019 haben die Verhandler von Seiten der Bischofskonferenz das Kirchenasyl kaum verteidigt. Es ist auf katholischer Seite mittlerweile in großen Teilen zerstört – so zumindest hier im Bistum Trier. Dafür mache ich auch Herrn Marx als ehemaligen Vorsitzenden mitverantwortlich. Die evangelische Kirche hatte eine andere Verhandlungslinie geführt. 

Herr Marx ist für mich ein Politiker, ein Kirchenpolitiker, und hat in diesem Sinne seinen Job gemacht. Eine Besonderheit kann ich nicht erkennen. Außerdem ist er dafür kirchenfürstlich bezahlt worden, nämlich aus den Staatsleistungen – wenn ich mich nicht irre – also letztlich von Ihnen als unserem Staatsoberhaupt höchstpersönlich. 

Ein Spitzen-Politiker verleiht einem anderen Spitzen-Politiker einen Orden, und beim Volk hinterlässt es viel Bitterkeit. 

Mit bitterem Beigeschmack grüße ich Sie freundlich

werner huffer-kilian 

Walter Steinmeier wollte trotz zahlreicher Protestes bei der Verleihung bleiben, aber Kardinal Marx hat auf den Orden verzichtet.

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