talking about sexual trauma

Our civilizations are traumatized by sexual violence. A poison we should neutralize by talking


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Rezension: „Der Raub des Lebens“ – und die Grenzen von Aufarbeitung

Was die Institution „Aufarbeitung“ nennt, ist für Betroffene oft eine Mischung aus Teilwahrheiten und dem Weglassen wesentlicher Aspekte und Tatsachen oder Taten. Das ist in den deutschen Diözesen so, es ist in Großbritannien nicht anders. Die ganz großen Verbrechen werden gerne unter dem Teppich gelassen, Vertuscher bleiben wenn nicht ungenannt so doch ungestraft. Das war bei der Aufarbeitung von Missbrauch und Gewalt in der Heimschule „Croome Court“ auch nicht anders. Sigrid von Galen und Rafael Viola berichten in ihrem Buch, wie Aufarbeitung bei der IICSA – „Independent Inquiry into Child Sexual Abuse“, die von 2015 bis 2022 in London stattfand, nach eigenen Erfahrungen aussah. Viola war Mitglied im Komitee, das die „Aufarbeitung“ übernahm.


Dr. Thomas Hanstein hat mir freundlicherweise seine Rezension des Buches für diesen Blog zur Verfügung gestellt.

Kontakt: info@coaching-hanstein.de; Twitter: https://twitter.com/DrHanstein

Kontakt zur Co-Autorin Sigrid von Galen: https://twitter.com/instcrimjust


In der Heimschule Croome Court, die unter Aufsicht der Erzdiözese Birmingham von den Sisters of Charity betrieben wurde, erlebte der Autor Rafael Viola als Kind nach eigenen, erschütternden Schilderungen die Hölle seiner Kindheit. Er sei mehrmals von dort weggelaufen, aber immer wieder zurückgebracht worden – gegen den ausdrücklichen Willen seiner Eltern, die im Übrigen die einzigen gewesen seien, die seinen Berichte geglaubt hätten.

Viola und von Galen beschreiben auch, wie die Zöglinge ungestört in der Heimhölle misshandelt werden konnten: Staatliche Behörden seien von kirchlicher Manipulation systematisch funktionalisiert worden; durch unzureichende, dysfunktionale Kontrollmechanismen hätten sie sich aus der Überprüfung der Vorgänge gegenüber Schutzbefohlenen herausgehalten und die Kinder und Jugendlichen dem Missbrauch in kirchlichen Heimen und Schulen praktisch ausgeliefert. Die einzigen größeren Spaziergänge habe es beispielsweise immer dann gegeben, wenn sich ein Inspektor angemeldet habe. Dieser habe dann ein leeres Haus bei Tee und Keksen inspiziert.


Dies und vieles Schockierende mehr berichten von Galen und Viola in 21 Kapiteln. Auch, wie Rafael Viola erst im Alter von 55 Jahren seine Erinnerungen an seine Kindheitserlebnisse in mehreren kirchlichen Einrichtungen zulassen – und aussprechen – konnte. Seine Frau war zu dieser Zeit bereits verstorben. Damit wird man beim Lesen des Buches – das nicht leichtfällt – einmal mehr mit der Tatsache konfrontiert, dass es über ein halbes Leben dauern kann, bis traumatisierend Erlebtes bereit ist vom Bewusstsein bearbeitet zu werden. Unterstützt von seiner Tochter und einer Reihe von Mitstreiterinnen und Mitstreitern ist Rafael Viola seither nicht mehr aufzuhalten, und in Sigrid von Galen fand er eine Verbündete.


Nachdem Viola seine Erfahrungen benennen konnte, war es ihm ein tiefes Anliegen, weitere Betroffene zu kontaktieren und ein Netzwerk aufzubauen. Nachdem sich die IICSA im Jahr 2015 konstituiert hatte, berief man ihn zum „Botschafter der unabhängigen Untersuchung des sexuellen Missbrauchs von Kindern“. Vor dem Hintergrund dieser Einblicke benennt er es nun als „Verbrechen an sich“, dass es „bis heute keine angemessene Untersuchung“ (S. 12) gegeben habe.

In seinem Erfahrungsbericht schreibt er davon, dass er zu einem Bericht vor der IICSA unter der Bedingung bereit gewesen sei, ihn in Gänze vortragen zu können – unter Verweis auf den Zeitmangel sei er schließlich doch auf zwei Minuten heruntergekürzt worden. Andere Betroffene seien überhaupt nicht gehört worden. Raphael Viola spricht von Einschüchterungsversuchen, manipulierten Gutachtern und dem immer und immer wieder benutzten Spiel auf Zeit. Erwartungen seien aufgebaut worden, um sie dann zu enttäuschen – wobei Retraumatisierungen strategisch miteinkalkuliert worden seien.

Viola fühlte sich von der IICSA recht bald „als Alibi und Vorzeigefigur benutzt“ (S. 14). Neben den Demütigungen, die Betroffene in einem Prozess tagtäglich neu über sich ergehen lassen müssten, habe er – trotz allem – bis heute keine ehrlichen Entschuldigungen vonseiten der Kirche erhalten. Leere Entschuldigungen, die ohne Folgen blieben, ließen einzig und allein – seelische-körperliche – Folgen bei den Betroffenen zurück. So wie Rafael Viola am Ende des langen Prozesses einen Nervenzusammenbruch erlitt, nachdem er bereits zwischendrin ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.


Mitautorin von Galen sieht auch in dem Umstand, dass Akten in diesem Kontext teilweise bis ins Jahr 2044 unter Verschluss sind, ein weitreichendes globales Täternetz – gesteuert in Rom – und eine entsprechend tiefsitzende Täterkultur. Daher fordert sie die Aufhebung jeglicher Sonderbehandlungen sowie die diplomatische Immunität der Kirchen und ihrer Vertreter. In einem abschließenden Satire-Kapitel träumt sie von einem Schauprozess gegen die Päpste, bei dem keine Geringere als Maria Magdalena als Staatsanwältin auftritt.

Assoziation beim Lesen: Der Zufall wollte es, dass mir „Der Raub des Lebens“ zeitgleich mit dem Tod von Sinéad O’Connor in die Hände fiel. Die irische Sängerin hatte, wie Rafael Viola, Missbrauch und Heime erleben müssen. Mit ihrer – dennoch – starken Stimme hat sie vielen Betroffenen Mut zu-gesungen, vielleicht auch Rafael. Als der Missbrauchstsunami 2010 auch in Deutschland heranrollte, sagte sie zu hiesigen Aktivisten: „Geht nicht zu den Bischöfen, sie werden euch nur neu verletzen.“ Diese Einschätzung belegt auch der Erfahrungsbericht von Sigrid von Galen und Rafael Viola. Und die Folgerung, dass nur Vernetzung, Kampf mit harten Bandagen, ein langer Atem und immer wieder gegenseitige Ermutigung zum Erfolg führen.

Der Raub des Lebens. Kindesmissbrauch im System der organisierten Vatikan-Kriminalität
und ihrer geheimen Deckmäntel. London 2022


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An den Ettaler Abt Barnabas, der für die in den Kellern seiner Abtei Gefoltereten außer einem „Heilgespräch“ nichts übrig hat

Schön, dass wieder ein Mythos aufgeklärt wurde: Die „vorbildliche“ Aufarbeitung von Missbrauch im Kloster Ettal. Irgendwie wurden die Kellergeschosse wohl ausgespart? Wir wissen es nicht, denn der Bericht wurde nie veröffentlicht. Was allein daran vorbildlich sein soll, erschließt sich mir nicht. Vielleicht ist vorbildlicher, dass die Opfer selbst sich als „zufrieden“ erklären, zumindest die, die sich öffentlich äußern. Man munkelt, der Berichterstatter und der Auftraggeber seien mittlerweile befreundet und hätten so manchen Urlaub miteinander verbracht; s. hier:

@spiegelstelle „Prof. Heiner Keupp berichtete 2019 auf einer Tagung in Berlin, er habe sich mit Barnabas Bögle befreundet. Die Benediktinerabtei #Ettal kann man nicht losgelöst von #Münsterschwarzach und #MariaLaach betrachten. Es handelt sich um ein Netzwerk von Ordensleuten und Laien.“

Aber gut: Honni soit qui mal y pense.

Wir wissen jetzt wie auch immer, dass da was Wichtiges fehlte, das Schlimmste und Verwerflichste (zufällig?), also muss man wohl von vorne anfangen. Gehen wir davon aus, dass es fehlte, weil es nicht vorstellbar war. Wie auch immer; Abt Barnabas ist Opfern und Öffentlichkeit etwas schuldig. Bisher scheint er es schuldig bleiben zu wollen; er wird, wie Kardinal Marx es ausdrückt, für die Kirche überhaupt, Hilfe von außen brauchen, denn: Er kann es nicht.

Die verschacherten und gefolterten Heimkinder haben Menschen, die sie unterstützen; denn das brauchen wir Missbrauchs-Überlebenden, wenn wir uns mit der Täter-Institution auseinander setzen; deswegen vernetzen wir uns auch. Die Gefahr der Retraumatisierung ist so groß. Einer dieser Unterstützer hat Abt Barnabas folgenden Brief geschrieben, den ich hier dokumentiere.

Sehr geehrter Abt Barnabas, Sie haben auf mein unten platziertes Mail vom 26. Juli des Jahres nicht reagiert. Auch auf weitere Aufforderungen zu antworten sind Sie nicht eingegangen. Unsere Recherchegruppe, bestehend aus Jörg Jagers und mir, hatte Ihnen außerdem das Angebot gemacht, die von uns erarbeiteten und recherchierten Materialien zu den Missbräuchen an Heimkindern, die in den Klosterkellern geschahen,  vorzulegen. Auch darauf erfolgte keine Reaktion. Damit haben Sie entschieden, dass dieses Mail nun seinen Weg in die Öffentlichkeit nimmt.

Mit freundlichen Grüßen
Vladimir Kadavy 


Sehr geehrter Abt Barnabas,

am Montag, nach dem Erscheinen des Buch-2-Beitrages in der SZ vom 30.1.2021 suchten Sie über Jörg Jaegers Kontakt zu unserer Gruppe. Zustande kam am Dienstag Nachmittag, dem 2. Februar,  ein kurzes  Telefonat von fünf Minuten, Ihre Worte dabei sind in etwa so zu resümieren:

Wenn die Betroffenen sich vorstellen könnten, dass von einem Gespräch mit Ihnen eine für sie  heilende Wirkung ausgeht, dann seien Sie zu diesem Gespräch bereit.

Sie machen die Wirkung dessen, was Sie „Heilung“ nennen, vom guten Willen und der Bereitschaft der zu Heilenden abhängig.  Die in Ettals Kellern Missbrauchten und Gefolterten bedürfen der Heilung, die Sie anbieten. Ein großartiger, von Demut zeugender Gedanke: Der gute Wille der Opfer und der Glaube an Ihre heilenden Worte führen zum happy ending. Ich war zunächst baff und ließ mir von Herrn Jaegers  nochmals den Wortlaut bestätigen.

Weitere Punkte, die Herr Jaegers noch ansprechen wollte, waren nicht zu besprechen.
Sie haben  Ihre Botschaft  verkündet und beendeten das Gespräch. Ein weiter führender Dialog und Meinungstausch lag wohl nicht in Ihrer Absicht.

Sie sind sich offenbar nicht darüber im Klaren, wie Ihr Heilungsangebot bei bei den drei Missbrauchten angekommen ist. Warum in einem Klosterkeller gefolterte und getriggerte Menschen  Energie und den Willen und Bereitschaft mobilisieren sollen, sich der heilenden  Wirkung Ihrer Worte zu überlassen, bleibt Ihr Geheimnis. Ich gratuliere Ihnen zu dem starken Glauben an die Kraft Ihrer Worte. Die  Empörung, die sie angesichts eines solchen Angebots verspürten, können Sie wohl nicht nachvollziehen. Es sei denn, es war anders und Sie wollten nur provozieren.

Zumindest stellt sich noch eine grundsätzliche, tiefgründigere Frage: Kann man Menschen, die an Selbstüberhöhung und/oder  Hybris der Demut leiden, ebenfalls einer heilenden Wirkung zuführen? Verwirrt die frische  Bergluft die Wahrnehmung oder führt sie in lichte Höhen, denen andere nicht folgen wollen? Anders gefragt: Brauchen Sie nicht selber Beistand?

Seit Februar sind Sie auf Tauchstation, von Ihnen keine Impulse. Der Verdacht  verstärkt sich:  Sie reagieren nicht, Sie wollen es aussitzen. Stattdessen verbreiten Sie, verführt von Ihrem  Wahrnehmungsbedürfnis,  erstaunliche Ansichten über die Interessen unserer Gruppe, darunter die Behauptung, es gehe uns nur um den schnöden Mammon.

Mit dieser Behauptung haben Sie nur ins Blaue gezielt, aber nicht ins Schwarze getroffen. Die  Rolle des Geldes in dieser causa  einzuschätzen überlassen Sie uns, gegen Ihre öffentlichen  Spekulationen dazu verwahren wir uns.

Sie ermessen nicht die Überlebensinteressen  einiger, die fünf Jahre oder länger andauernde  sexuelle und physische Exzesse des benediktinischen Personals und anderer Täter wie durch ein Wunder überlebt haben. Wir reden von den drei uns bekannten Überlebenden, deren Schicksal wir dokumentiert haben. Von den anderen, die außerdem noch in den Ettaler  Klosterverliesen gefangen, sexuell und physisch missbraucht wurden und inzwischen verstorben sind, ganz zu schweigen.  Oder denen, die noch so traumatisiert sind und neben sich stehen (man nennt es: dissoziiert sind) und sich nicht melden werden. Mit entsprechender Abrichtung und Zuarbeitung des Paritätischen Heimpersonals und transportierender Nonnen haben sich Mönche Ihres Klosters in den Sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in schändlicher Weise an diesen drei und noch anderen vergangen. Ein Gemeinschaftswerk, eine  Kooperation zwischen weltlicher und kirchlicher Institution zur Vermehrung von Geld und Lust. Immer wenn die Kloster-Zöglinge nicht verfügbar waren, wurden Heimkinder herbeigeschafft, übrigens nicht nur während der Ferien. Gerne auch zu hohen christlichen Feiertagen.

Stattdessen wollen Sie  die Überlebenden mit Ihrem Segen erquicken und, ganz entscheidend, bevor Gespräche stattfinden, wollen Sie vorab mit ihnen ein Friedensfest feiern: Heile heile Segen. Wie im Kinderreim. Lasset uns von Eurer Versöhnung mit Uns sprechen, bevor wir Euch Teilhabe an Unserer Verantwortung und  Schuld gewähren. Denn unser Eingeständnis an Schuld und Verantwortung ist Gnade. Seid dankbar. Ist Ihnen nicht bewusst, dass es ankommt wie ein christlicher Reflex zur Vermeidung von größeren Ausgaben?

Sind die Opfer eingestimmt worden, verstärkt dies den Segen und schont die Kassen. So die benediktinische Kalkulation: Kinder schänden, Zeit schinden, Kassen schonen – geht nur mit Versöhnungskonzil.

Weiteres zu Ihrem Verdacht, es gehe ums Geld. Die Sache mit dem  Mammon bedarf weiter gehender Klärung.

Dabei und zunächst spielt das Wieviel durchaus eine Rolle. Diesmal geht es nicht um die Söhne der bayerischen Eliten, deren spätere Biografien von den mönchischen Abartigkeiten zur Genüge determiniert waren, Sie kennen ja die IPP-Studie und das der Studie vorausgegangene Buch der beiden SZ-Autoren Stadler und Obermeyer  („Bruder, was hast du getan?“). Die Exettaler, missbraucht und gedemütigt und gezeichnet für den Rest ihres Lebens, aber ganz anders aufgefangen und eingebettet, sind meist  gestützt durch Abstammung, Wohlstand und Privilegien ihrer Familien. Davon kann im Falle der Heimkinder aus Feldafing keine Rede sein. Die treiben alleine durchs All und konnten durch Jaegers und mich zumindest ihre Sprachlosigkeit überwinden.

Die  finanzielle Leistung des Klosters an seine ehemaligen Internatszöglinge hat meinem Empfinden nach bestenfalls symbolischen Charakter. Die gezahlten Beträge (je 7000,— €? Oder auch weniger?) drücken diesen Symbolismus adäquat aus.

Dass das Kloster diesmal  in einer anderen Verantwortung steckt, die zumindest finanziell  über den oben geschilderten Symbolgehalt  hinaus reicht, ließe sich ohne Mediatoren  vermitteln. Dass unbeschadet der Höhe des geleisteten Betrages eine Versöhnungserwartung aber  nicht bedient werden  kann: Diese  Kröte müssen Sie schlucken. Auch wenn Sie persönlich keine Schuld haben, als Abt tragen Sie Verantwortung. Das Kloster soll zahlen, basta. Keine Zahlungsbedingungen. Keine Umarmungen vor Kameras. Keine Instrumentalisierung der Interessen der Täterorganisation durch die Medien. Punkt. Es gibt vergebungslose Taten. Trost möge man sich bei Gott holen, nicht bei den Opfern. Das ist stillos.

Ich erwarte von Ihnen eine zeitnahe Antwort.

Mit freundlichen Grüßen

Vladimir Kadavy

PS: Für die Werbung unter dem Artikel bitte ich um Entschuldigung – ich kann sie nicht abstellen und verdiene auch nichts an ihr.